29.06.2020

Das Online-Auktionshaus eBay macht es schon seit Jahren vor: Es setzt auf Streitschlichtung über eine Online-PlattformDie sogenannte E-Justiz hebt die Gerichtsbarkeit ins digitale Zeitalter. Wie erfahren Sie hier. 

Die Gerichte in Deutschland sind schon seit Jahren chronisch überlastet. Die Mühlen der Justiz mahlen nur noch langsam. Bei Streitereien wäre es folglich das Nonplusultra, wenn es gar nicht erst zu einem Gerichtsverfahren kommt. Hier kommt die Alternative Dispute Resolution (ADR) ins Spiel, sprich eine alternative Streitbeilegung. Die Streitparteien versuchen dabei, sich außergerichtlich zu einigen. Die Methoden der alternativen Streitbeilegung könnten die Gerichte entlasten. Auch Online-Plattformen halten in dieser Form zunehmend Einzug in der Justiz. 

Die Vorzüge der außergerichtlichen Einigung 

Zu den Pluspunkten von ADR zählen neben einer Entlastung der Gerichte die meist niedrigeren Kosten und eine größere Flexibilität. Und wenn beide Parteien den Konflikt gemeinsam beilegen, liegt die Zufriedenheit womöglich auf einem höheren Niveau als bei einem harten Richterspruch. 

Schiedsverfahren sind im Durchschnitt wesentlich schneller als die klassischen Gerichtsverfahren. Die Schiedsrichter sind hochqualifiziert und verstehen sich als eine Art Service-Provider für beide Parteien. Das Verfahren ist zudem vertraulich und in einer Instanz beendet. Eine Aufhebung des Schiedsspruchs durch ein Gericht passiert nur in wenigen Ausnahmefällen. Zu den Vorteilen aus der flexiblen Verfügbarkeit gegenüber der herkömmlichen Präsenzpflicht gesellt sich die räumliche Distanz. In der anonymeren Situation fällt es den Parteien womöglich leichter, ihre Ansprüche angemessen einzufordern. 

Gerade für Parteien, die nach einem Streit weiter zusammenarbeiten wollen, ist ein Mediationsverfahren vorteilhaft. Ein geschulter Dritter versucht, eine Lösung für die widerstreitenden Interessen zu entwickeln, mit der allen Beteiligten leben könnenEin Vorteil im Vergleich zu einem Gerichtsverfahren liegt darin, dass der Schlichter beide Parteien einzeln anhören und so die wahre Interessenlage besser erkunden kannAnders als vor Gericht ist dabei eine Beteiligung der Öffentlichkeit weder notwendig noch zweckdienlich. 

Online-Streitschlichtung

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eBay macht es anderen Unternehmen vor. Quelle iStock/jejim

Im Zuge des enormen Wachstums von E-Commerce wuchsen mit den zahlreichen Käufern und Verkäufern auch die Streitigkeiten. Damit die resultierenden Kosten nicht aus dem Ruder laufen, hat die Handels-Plattform eBay schon früh auf Online Dispute Resolution (ODR) gesetzt. Die Online-Streitbeilegung stellt praktisch eine digitale Variante von ADR dar, um Problemfälle anzusprechen und Streitereien zu klären. Die ODR-Plattform von eBay löst mehr als 60 Millionen Streitfälle im Jahr.  

ODR bietet sich auch für die ordentlichen Gerichte an. In den Niederlanden steht dafür bereits ein Online-Dienst parat, mit dem die Streitparteien zu einer Lösung des Konflikts gelangen sollen. Es existiert auch eine EU-Verordnung über die Online-Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten. Die entsprechende europäische ODR-Plattform finden Sie unter https://ec.europa.eu/consumers/odr/. 

So funktioniert ODR 

Die Streitschlichtung auf einer Online-Plattform folgt im Prinzip dem folgenden Schema: Eine Seite reicht die Beschwerde über die Plattform ein, und zwar in der eigenen Sprache. Die Gegenseite erhält die Beschwerde in ihrer Sprache zusammen mit einer Liste von Streitbeilegungsstellen. Die Streitparteien haben 30 Tage Zeit, sich auf eine Streitbeilegungsstelle zu einigenDiese wiederum hat dann 90 Tage Zeit, eine Lösung zu finden. Sobald diese vorliegt und beide Seiten informiert sind, wird das Verfahren eingestellt. 

Im Zuge des Verfahrens laden beide Seiten strukturiert Dokumente und Unterlagen hoch. Dabei lassen sich jederzeit neutrale Dritte hinzuziehen. Falls es nicht zu einer Einigung kommt, lässt sich das Material im dann unvermeidlichen Gerichtsprozess verwenden. 

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Online-Schlichtungen können viel ersetzen und den aktuellen Fälle-Stau reduzieren. Quelle: iStock/baloon111

Normalerweise kommt ODR bei Streitfällen zum Einsatz, in denen es um eher geringe Summen geht. In Deutschland regelt das Mediationsgesetz die Verfahren der außergerichtlichen KonfliktlösungDemnach können Richter einen Streit zunächst an einen Güterichter verweisen oder auf eine außergerichtliche Streitschlichtung dringen. Manche Länder sind in Sachen E-Justiz schon weiter: In Teilen Kanadas ist ODR bei vielen Streitthemen vorgeschrieben. 

ODR in Zeiten von Corona 

Gerichte auf der ganzen Welt haben in Folge von COVID-19 Verfahren verzögert oder ausgesetzt und damit das Dilemma der Überlastung noch verstärktVideokonferenzen sind keine Lösung. Ein so durchgeführtes Verfahren fände faktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und wäre rechtlich angreifbar. Solange die Wirtschaft noch geschwächt ist, können lange und kostspielige, vor Gericht ausgetragene Konflikte Unternehmen in den Ruin treiben 

ODR lässt sich aus der Distanz durchführensogar in Form von reinen Dokumentenverfahren, wodurch die Pflicht zur grundsätzlichen Öffentlichkeit bei gerichtlichen Verfahren außer Kraft tritt. Sollte es doch zu einer mündlichen Verhandlung kommen, können ODR-Plattformen dank Video-Übertragung die Öffentlichkeit hinzuziehen. Abstandsregeln bleiben gewahrt. Und möglicherweise führt der erzwungene Einsatz digitaler Hilfsmittel auch in Post-Corona-Zeiten zu einem Aufschwung digitaler Schiedsverfahren. 

Quelle Titelbild: iStock/imaginima 

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