06.11.2020

Der Furcht, dass COVID-19 jegliche Investitionen hemmen würde, steht vielfach die Meinung gegenüber, dass die Lockdown-Maßnahmen und der Massenaufbruch ins Homeoffice Deutschland einen Digitalisierungsschub beschert haben. Zwei Studien zeigen die unterschiedlichen Positionen.

Viele deutsche Unternehmen haben sich lange Zeit gesträubt, ihren Mitarbeitern Homeoffice zu gewähren, sahen sich dann im März 2020 aber wegen Corona und den Lockdown-Maßnahmen dazu gezwungen. Und nicht wenige von ihnen haben „überraschenderweise“ so gute Erfahrungen damit gemacht, dass sie auch nach der Pandemie bei Remote Work und der Flexibilisierung der Arbeitsplätze bleiben wollen. Prominentestes Beispiel ist Siemens: Der Münchener Technologiekonzern sprach Mitte des Jahres davon, die Präsenzkultur für 140.000 Mitarbeiter dauerhaft abschaffen zu wollen.

Auf der anderen Seite gibt es aber auch viele Unternehmen, die wegen der Corona-Maßnahmen gar nicht wissen, woher sie die nötigen Mittel nehmen sollen, um Innovation und Digitalisierung voranzutreiben. Werften sind zum Beispiel laut Weser-Kurier in einem regelrechten Corona-Loch und Investitionsstau. Letzterem sehen sich auch viele Unternehmen der Bau- und Einrichtungsbranche gegenüber, die doch eigentlich zu den Gewinnern der Pandemie in Deutschland zählen. Aber vor lauter Aufträgen kommen sie oft gar nicht hinterher zu investieren. Bei dem Ritt auf der Erfolgswelle ist die Gefahr groß, dass es ihnen so wie manch einem Retail-Riesen geht, der darüber den E-Tail-Zug verpasst hat und bald ins Schleudern geriet.

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Vielen Unternehmen fehlen die finanziellen Mittel, während der Krise an Digitalisierung und Investition zu denken. Quelle: iStock / matejmo

Cisco-Studie zuversichtlich

Wie sehr die Positionen zwischen Corona als Digitalisierungsschub oder als Digitalisierungshemmer auseinandergehen, zeigen zwei Studien, die eine von Cisco und Marktforscher IDC, die andere von Bitkom und dem Spezialversicherer Hiscox.

Cisco und IDC kommen in der SMB Digital Maturity Study 2020 (Studie zum digitalen Reifegrad bei kleinen und mittegroßen Unternehmen) zu dem Ergebnis, dass deutsche KMUs die Krise als echte Chance genutzt hätten, die Digitalisierung voranzutreiben. Im internationalen Vergleich kommen sie der Studie zufolge auf Platz 4. Befragt wurden dazu 2.030 Unternehmen mit bis zu 499 Mitarbeitern in Deutschland, Frankreich, Großbritannien, in den USA und Kanada sowie in Mexiko, Brasilien und Chile.

Nur 56 Prozent der deutschen KMUs, weit weniger als im internationalen Vergleich, müssen der Studie zufolge ihre Geschäftsprozesse aufgrund von Corona erst noch beschleunigen. Mit Ausnahme von Großbritannien liegt der Anteil bei allen anderen Ländern bei über 70 Prozent. Wenn es gelingt, mehr als die Hälfte der KMUs zu „digitalen Herausforderern“ zu machen, könnten sie das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um insgesamt 2,3 Billionen US-Dollar (1,9 Billionen Euro) steigern, so heißt es in der Cisco-Studie. In Deutschland liege das Potenzial bei 328 Milliarden Euro. Und das sei durchaus realistisch, denn 38 Prozent der deutschen KMUs hätten bereits die dritte Stufe der „Herausforderer“ überschritten, weitere 5 Prozent sogar die höchste Stufe der „Digital Natives“.

Corona habe weltweit die Arbeitsweise verändert, in Deutschland wurden Homeoffice und Remote Work allerdings weniger oft genannt, dafür habe sich die Krise mehr auf die Sicherheit der Mitarbeiter (17 Prozent), die Lieferkette und Logistik (14 Prozent) und auf die Vertriebsleistung (12 Prozent) ausgewirkt. Doch für 46 Prozent der deutschen KMUs spielt Digitalisierung in der Krise weiter eine Rolle. 12 Prozent investieren in den kommenden anderthalb Jahren laut eigenen Aussagen in IT-Infrastruktur-Software, 11 Prozent in Sicherheitslösungen, 10 Prozent in Workforce Performance Management. Hinzu kommen Investitionen in Cloud- und Collaboration-Lösungen, auch eine Folge von Corona und dem Lockdown. Als größte Herausforderungen sehen die Befragten allerdings geringe Budgets und hohe Kosten mit 16 respektive 15 Prozent sowie fehlende Bereitschaft (14 Prozent).

Bitkom sieht eher geringen Digitalisierungsschub

Eine Studie vom deutschen ITK-Branchenverband Bitkom ergibt hingegen, dass viele Unternehmen nicht von der Coronakrise profitiert haben und sie deshalb viele Investitionen aufs Eis gelegt haben. Mehr als die Hälfte der befragten Unternehmen (52 Prozent) haben 2020 Aufträge verloren, nur 5 Prozent sehen sich als „Corona-Gewinner“. Das ergab eine Umfrage von Bitkom Research im Auftrag des Spezialversicherers Hiscox bei 300 IT-Managern in Deutschland.

Hiscox-Manager Marc Thamm weiß von Medienberichten, die in der Coronakrise einen großen Schub für die Digitalisierung sehen. Er sagt allerdings: „Homeoffice und Homeschooling sind nur eine Facette der großen IT-Landschaft.“ IT-Dienstleistern für die Reise- und Veranstaltungsbranche gehe es beispielsweise nicht so gut.

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Quelle: Bitkom Research

Der Umfrage zufolge sagen nur 34 Prozent der IT-Experten, dass die Coronakrise die Digitalisierung vorangetrieben habe. Einer Frühjahrsumfrage von Bitkom und dem Ifo-Institut seien die Prognosen für die Digitalwirtschaft jedoch so schlecht ausgefallen wie seit 2009 nicht mehr, so Thamm.

Dass die Krise und die steigende Arbeitslosigkeit die Digitalisierung bremsen könnte, sei aber nicht zu erwarten. „Wir haben mehrere Faktoren, die dazu beitragen, dass Arbeitsprozesse zum Teil wieder nach Europa zurückverlagert werden“, zitiert Golem den Hiscox-Manager mit Blick auf die Coronakrise, auf Handelskonflikte mit China und den Brexit.

Viele Unternehmen stünden daher vor der Frage, wie sie ihr „Business“ auf einem vergleichsweise teuren Platz wie Europa marktkonform halten könnten. Dabei helfe die Digitalisierung und könne sie auch neue Arbeitsplätze schaffen, so Thamm.

Fazit

Deutschland und die Marktforscher sind gespalten, was Corona und die Digitalisierung angehen. Je nach Branche und Geschäftstätigkeit können gar nicht alle Unternehmen die Krise als Chance nutzen, um die Digitalisierung voranzutreiben. Aber auch Hiscox-Manager Thamm denkt schließlich, dass die Pandemie neben anderen Faktoren wie dem Brexit die Entwicklung begünstigen könnte. Die verstärkte Digitalisierung und Modernisierung der IT-Landschaft sind für viele Unternehmen längst überfällig in Deutschland. Viele sind aber schon auf einem guten Weg dahin, um ihre weitere Zukunft zu gestalten. Mit dem richtigen Partner an der Seite, wird das auch gelingen. Deutschland hat bei der Digitalisierung hier und da vielleicht wirklich noch Nachholbedarf. Auf der anderen Seite schneiden deutsche KMUs in der Cisco-Studie im internationalen Vergleich ganz gut ab, was die Digitalisierung in Corona-Zeiten angeht. Es besteht also kein Grund, sich als angeblich besonders rückständig immer nur selbst zu geißeln.

Quelle Titelbild: iStock / AndreyPopov

Im Jahr 2023 werden in Westeuropa bereits 15,8 Prozent aller mobilen Verbindungen auf 5G basieren. In drei Jahren wird es in Westeuropa bereits nahezu 200 Millionen Verbindungen geben, die mit 5G angesteuert werden. Die durchschnittliche 5G-Geschwindigkeit wird bei 686,9 Mb/s liegen – und ist damit fast 13-mal höher als die von 4G. Der Großteil der mobilen Verbindungen (43 Prozent) wird dann aber immer noch über 4G abgedeckt.

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