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Lieferkettengesetz: Fluch und Segen für Tech-Unternehmen

In leicht abgeschwächter Form hat das Lieferkettengesetz Ende 2021 auch den deutschen Bundesrat passiert. Betroffen sind ab Januar 2023 erstmal nur Unternehmen mit mehr als 3.000 Beschäftigten. Manche sehen darin auch einen Segen für die IT- oder Tech-Branche.

Die Forderung, globale Lieferketten lückenlos bis ins letzte Glied auf ihre Umweltverträglichkeit und Menschenrechte zu überprüfen, gab es schon länger. Der Einsturz eines fünf Textilfabriken beherbergenden Hochhauses in Bangladesch von 2013 mit über 1.100 Toten und 2.000 zum Teil schwer Verletzten brachte möglicherweise das Fass zum Überlaufen. Denn im Rana Plaza, so der Name des Gebäudes, hatten offenbar unter Umgehung jeglicher Kontrollen von Billig- bis Edelmarke 32 Textilunternehmen produzieren lassen, die meisten davon aus Europa, darunter auch fünf deutsche.

Betroffen sind erstmal nur Großunternehmen

Im Koalitionsvertrag von 2018 hat sich die damalige Bundesregierung verpflichtet, per Gesetz einer unternehmerischen Sorgfaltspflicht nachzukommen, wenn die Mehrheit der deutschen Großunternehmen bis 2020 nicht freiwillig ihre Prozesse anpasst. Der entsprechende Passus geht auf den kurz NAP genannten Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte der Bundesregierung von 2016 zurück. Ein von ihr im Oktober 2018 veranlasstes Monitoring bei Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten ergab, dass nur 13 bis 17 Prozent von ihnen nach dem Prinzip der Freiwilligkeit als „NAP-Erfüller“ durchgingen, weitere 10 bis 12 Prozent auf einem guten Weg waren. Der Zielwert von 50 Prozent wurde somit verfehlt.

Vor allem Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und sein für Entwicklung zuständiger vormaliger Kabinettskollege Gerd Müller (CSU) drängten daher auf eine härtere Gangart. Schließlich einigte man sich auf einen Kompromiss, wonach ab 1. Januar 2023 zunächst nur Unternehmen mit mehr als 3.000 Beschäftigten in die Pflicht genommen werden, ab 2024 auch Unternehmen mit weniger als 1.000 Mitarbeitenden. Am 11. Juni ging das offiziell sogenannte „Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten“ durch den Bundestag, am 25. Juni durch den Bundesrat.

Aber auch für KMU gilt unter Umständen: mitgefangen, mitgehangen

Kleine und mittelständische Unternehmen mit weniger Beschäftigten sind unmittelbar erstmal nicht betroffen von dem Lieferkettengesetz. Sie sollen es aber mittelbar sein, wenn sie erstens als Subauftragnehmer den Großen zuarbeiten und diese die Sorgfaltspflicht von ihnen einfordern und zweitens eine europäische Gesetzesinitiative auf den Weg gebracht wird.

Bemühen muss angemessen und wirksam sein

Das Bemühen muss laut Gesetzestext auch angemessen und wirksam sein. Und dabei ist auch zwischen A-, B- und C-Lieferanten zu unterscheiden. Erstere sind als Lieferanten praktisch unersetzbar, die der Kategorie B auch wichtig und relevant für ein Unternehmen, aber gegebenenfalls entbehrlich. Und damit ist es bei diesen B-Lieferanten angemessen und wirksam, ein sogenanntes digitales Audit durchzuführen. Gleiches trifft auch auf A-Lieferanten in Ländern wie China zu, wo der Umgang mit Menschenrechten als „risikobehaftet“ gilt. Dort muss auch eine regelmäßige Vor-Ort-Prüfung erfolgen. C-Lieferanten  sind entbehrlich, für die Auftraggeber aber vielleicht nur von weiterem Interesse, weil sie günstiger sind als die Konkurrenz.

Digitale Lieferantenaudits, wie sie Innolytics zum Beispiel durchführt, erfolgen zunächst anhand eines Fragebogens per E-Mail und Selbstauskunft. Zeigen sich dann Auffälligkeiten, müssen die Verantwortlichen nachbohren. Dabei entstehende sprachliche Verständigungsprobleme rückt Innolytics mit einer künstlichen Intelligenz zu Leibe, die neben Chinesisch und Polnisch auch fünf weitere Sprachen „beherrscht“.

Warum ein „Segen“ für Tech-Unternehmen?

Vielfach laufen laut Meyer schon Pilotprojekte. „Spätestens ab Mitte 2022 wird das Lieferkettengesetz das Topthema auf der Agenda vieler Unternehmen sein“, denkt er. Dr. Rudolf Aunkofer, Gründer und Direktor der iSCM Institute sieht das Lieferkettengesetz derweil in einem Beitrag für ChannelPartner als Segen für die Tech-Branche. Ihm zufolge sind globale Wertschöpfungsketten heute für 80 Prozent des Welthandels essenziell und Lebensgrundlage für eine halbe Milliarde Menschen. Diese ist aber durch Corona bedroht. Betroffen sei auch die Tech-Branche und Deutschland als drittgrößte Exportnation.

Laut iSCM-Stimmungsbarometer von Juli 2021 gaben 67 Prozent der Teilnehmer an, dass die mangelnde Produktverfügbarkeit das Thema Nummer eins der Branche sei. Andererseits erlebe sie auch einen Nachfrageboom bei ITK-Produkten und -Services. Was den Sourcing-Schwerpunkt Asien angeht, folge die Tech-Branche dem PESTEL-Ansatz (Political, Economical, Social, Technological, Environmental und Legal) und es sei damit alles eine Frage der Perspektive. „Das Lieferkettengesetz wird einen digitalen Transformationsprozess initiieren beziehungsweise bestehende Digitalisierungsbestrebungen deutlich beschleunigen. Und die Tech-Industrie wird von dieser Entwicklung profitieren, da entlang der gesamten Lieferkette digitale Lösungen für die neuen Herausforderungen gefunden werden müssen“, so Aunkofer.

Die Branche befürwortet laut einer iSCM-Umfrage die Einführung des Lieferkettengesetzes. Gefragt sein werden neben KI unter anderem auch andere Lösungen wie die für das Supply Chain Management, Plattform-as-a-Service, die Blockchain-Technologie und Automatisierung.

Quelle Titelbild: Adobe Stock / TMLsPhotoG

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