Smart City – Deutschland überzeugt nur auf dem Papier

Nach dem Smart City Index der Bitkom zu urteilen werden deutsche Großstädte immer smarter und vernetzter. Das zeigt auch eine Erhebung des US-amerikanischen Department of Econonomic and Social Affairs (DESA). Doch was ist an den Studien und Digitalindexen dran?

Dies vorab: Da blieb selbst den meisten Berliner:innen die Luft weg, als das Department of Economic and Social Affairs (DESA) der Vereinten Nationen ihre Stadtverwaltung im Herbst 2022 zur digitalsten weltweit gekürt hat. Und das vor 192 anderen Städten, darunter so viel gelobte wie Madrid, nur knapp dahinter auf Platz 2, Talinn (Estland) und Kopenhagen, die sich die Plätze 3 und 4 teilen, oder New York und Paris auf den Plätzen 6 und 7. Dabei halten laut Bitkom zwei Drittel der Deutschen (64 Prozent) ihre Stadt- oder Gemeindeverwaltung in Sachen Digitalisierung für rückständig und Berlin ist in dem oben genannten Smart City Index des Digitalverbands für 2022 in puncto Verwaltung sogar um 12 Plätze auf Platz 25 abgerutscht.

Ob der Aufstieg Berlins im Local Online Services Index (LOSI) der UN auch damit zu tun hat, dass die Stadt Mitte Oktober 2022 Austragungsort der Smart Country Convention war, fragt sich so mancher. Was DESA zu dem überraschenden Ergebnis sagt und wie ein nach München gezogener Berliner das kommentiert, das lesen Sie weiter unten. So viel sei schon mal verraten: Gepunktet hat Berlin in der LOSI-Studie jeweils mit Platz 1 vor allem beim institutionellen Rahmenwerk, bei der Content-Bereitstellung sowie bei (Bürger-)Partizipation und Engagement. Bei Services und Technologie reichte es jeweils nur für Platz 4, hinter Madrid, Talinn und Tokio.

Was macht eine Smart City aus?

Was zeichnet eine Stadt als Smart City aus? Dafür gibt es verschiedene Faktoren oder Kriterien. Smarte Verkehrsinfrastrukturen gehören ebenso dazu wie eine smarte Verwaltung mit weitgehend freiem Online-Zugang auf alle Formulare und auch Themen wie Engagement für Umwelt und Gesellschaft.

Hamburg punktet im Smart City Index 2022 von Bitkom vor allem im Bereich Gesellschaft.

Hamburg punktet vor allem im Bereich Gesellschaft und hat sich daher im Smart City Index 2022 von Bitkom zum vierten Mal in Folge die Krone aufsetzen können. Die große Hansestadt hat aber insgesamt an Vorsprung eingebüßt, wobei vor allem München und Dresden auf Platz 2 und 3 mit großem Tempo aufholen.  Und auch viele Nachzügler konnten laut Bitkom Boden gutmachen.

Was die Gesamtwertung angeht, liegt Hamburg beim vierten Index mit 86,1 zu 85,3 von 100 möglichen Punkten nur noch knapp vor München, Dresden hat es mit 81,6 Punkten und Platz 3 erstmals aufs Siegertreppchen geschafft, während Köln mit nur noch 79,4 Punkten von Platz 2 auf Platz 4 abgerutscht ist, der Vorjahres-Überraschungsaufsteiger Karlsruhe sogar von Platz 4 auf Platz 14. Gut bis sehr gut zugelegt haben dagegen Stuttgart auf Platz 5 und Nürnberg auf Platz 6.

Nürnberg kann nicht nur Bratwürste

Die fränkische Metropole hat so wie Aachen und Düsseldorf (Platz 7 und 9) einen regelrechten Senkrechtstart hingelegt. Alle drei sind mit jeweils zwischen 76,6 und 77,6 Punkten erstmals unter den Top 10. Komplettiert wird die Top-Liste durch Bochum und Darmstadt auf den Plätzen 8 und 10, wobei diese alle in unterschiedlichen Disziplinen punkten. Diese Kriterien, die sich teilweise überschneiden, sind: Gesamtwertung, Verwaltung, Energie und Umwelt, IT und Kommunikation, Mobilität und schließlich Gesellschaft.

In der Kategorie Verwaltung liegt Nürnberg vorne.

In Sachen Verwaltung liegen Nürnberg, Heilbronn (+36), Düsseldorf (+31), Heidelberg und München (+9) vorn, bei Energie und Umwelt sind es Paderborn (+13), Ulm (+40), Trier, Aachen (+14) und trotz leichter Verluste Stuttgart. Bei IT und Kommunikation gibt es vorne weniger Bewegung: Platz 1 bis 5 teilen sich Gelsenkirchen, München, Hamburg, Köln und Kiel mit 88,1 bis 84,4 Punkten. Beim Mobilitätsranking sind mit 94,2 bis 87,9 Punkten Nürnberg, Hamburg, Berlin, München und Köln auf den vordersten fünf Plätzen. Bei Gesellschaft ist Hamburg mit 98,1 Punkten wie gesagt immer noch vorn, gefolgt von Dresden, Düsseldorf (+17), Wuppertal (+8) und Potsdam (+12). Die Plus- oder Minus-Zahlen in Klammern zeigen jeweils die Auf- oder Abwärtsbewegung an.

Paderborn liegt in der Kategorie Energie und Umwelt auf Platz eins.
Paderborn liegt in der Kategorie Energie und Umwelt auf Platz eins.

Die Startup-Metropole Berlin macht kaum Schnitte

Was auffällt ist, dass Nürnberg als einzige Großstadt diesmal in zwei der fünf Kategorien vorne liegt, nämlich in Sachen Verwaltung und innerstädtische Mobilität, der einzigen Kategorie, bei der auch Berlin unter den ersten fünf ist. Insgesamt hat es bei der Bundeshauptstadt auch nur für Platz 11 gereicht, obwohl es dort so viele Initiativen und innovative Start-ups gibt, die sich Smart auf die Fahne schreiben.

Auch in der Kategorie innerstädtische Mobilität liegt Nürnberg noch vor Berlin.

Bei der Verwaltung ist Berlin sogar um 12 Plätze auf Platz 25 abgerutscht, bei Energie und Umwelt mit Platz 52 (-27) sogar ganz unter ferner liefen, bei IT und Kommunikation immerhin auf Platz 18 und beim Thema Gesellschaft auf Platz 8 (+19).

Für den von Detecon, PwC, Uber und Visa unterstützten Smart City Index hat Bitkom insgesamt 11.000 Datenpunkte erfassen lassen. In die Bewertung kamen nur 81 Städte mit jeweils ab 100.000 Einwohnern. Die fünf genannten Bereiche sind wiederum in 36 Indikatoren aufgefächert, die aus insgesamt 133 Parametern bestehen. Dazu gehören etwa Online-Bürger-Services, (Car) Sharing-Angebote, Umweltsensorik und Breitbandversorgung. Die Städte durften ihren Leistungsstand selbst angeben, mussten diesen aber auch mit entsprechenden Quellen belegen, wovon 85 Prozent Gebrauch machten.

Starke Aufsteiger bei Digitalisierung in den hinteren Reihen

Zum Schluss lohnt noch ein Blick auf den Branchenbereich IT und Kommunikation.  Unter den Aufsteigern sind neben den genannten Top 5 Regensburg und Mannheim (+9) auf den Plätzen 6 und 7, Münster auf Platz 10 (+11), besonders aber auch viele der auf den Plätzen 11 bis 20 befindlichen Städte, so wie Ludwigshafen (+17) und Trier (+28) auf den vorderen Rängen sowie die Aufsteiger Herne, Augsburg und Stuttgart auf den Plätzen 15, 16, und 17, während Darmstadt und Wuppertal auf die Plätze 19 und 20 zurückgeworfen wurden im Bereich Digitalisierung, IT und Kommunikation. Neuss, Osnabrück, Aachen und Hannover sind zwar nur auf den Plätzen 21 bis 24 gelandet, dürften aber mit ihren Zugewinnen noch für so manche Überraschungen gut sein, ebenso Frankfurt am Main auf Platz 28 (+32).

Im Branchenbereich IT und Kommunikation sind neben den Top 5 die Aufsteiger Regensburg und Mannheim.
Im Branchenbereich IT und Kommunikation sind neben den Top 5 die Aufsteiger Regensburg und Mannheim.

Wie ein Ex-Berliner die Stadt auf Platz 1 der UN sieht

Selbst die Berliner und die dortigen Medien waren baff, nachdem die Vereinten Nationen die Verwaltung der Bundeshauptstadt jüngst zur digitalsten weltweit gekürt haben. Niemand konnte es verstehen, dass sich ausgerechnet die so viel gescholtene Spreemetropole, BER lässt grüßen, bei dem Ranking gegen 193 andere Städte durchsetzen konnte. Dabei hat sich im Vergleich zu früher freilich schon viel geändert. Während der ADAC zum Beispiel den Hauptstandort München vor 15 Jahren als die Stadt mit dem besten Nahverkehrsnetz in ganz Europa ausgemacht hat, war Berlin damals schon viel besser in der Taktung der „Öffis“ und der Transparenz der Tarife, die selbst die meisten Münchener:innen immer noch vor ein großes Rätsel stellen und Tourist:innen in den Wahnsinn treiben.

Wie die Berliner Zeitung berichtet, häufen sich an Spree und Havel immer noch Beschwerden über digitale wie analoge Behördengänge. Das Blatt wollte es daher genau wissen und hat Deniz Susar, den Governance und Public Administration Officer von DESA, befragt, wie es zu Berlins gutem Abschneiden in der Studie kam. Der sagte, nein, dass Berlin die beste digitale Verwaltung weltweit habe, würde der Index der 12. Studie bisher nicht ausdrücken. Aber Berlin und Madrid würden nun mal die Mehrheit der von der DESA bewerteten Features aufweisen, während 47 der 193 Städte zum Beispiel noch nicht mal ein Web-Portal hätten.

Man könne auch nicht sagen, Berlin sei digitaler als Talinn, beide Städte hätten einen hohen Indexwert. Und im Übrigen sei es schwierig, Deutschland und Estland zu vergleichen, weil es sich um Länder und Städte mit völlig unterschiedlichen Bevölkerungszahlen handele, so Susar.

Ein anderer Gedanke: Ob sich das geändert hat, lässt sich nicht sagen, aber das Arbeitsamt Neukölln, das größte Deutschlands, musste vor rund 10 Jahren mal eine zweistellige Summe an den Bund zurücküberweisen, weil es nicht geschafft hat, AMB-Mittel sinnvoll zu nutzen. Det is Berlin, fiel einem damals ein, so wie vielen anderen Bundesbürger:innen beim Debakel um den neuen Hauptstadtflughafen BER.

Die Menge der Studien macht es schließlich nicht besser. Auch wenn einzelne Städte vielleicht auf dem aufsteigenden Ast sind und ihre Hausaufgaben gemacht haben, hinkt Deutschland vielen anderen Ländern digital immer noch hinterher. Um es mit der alten Esso-Werbung zu sagen: „Es gibt viel zu tun, packen wir es an.“

Quelle Titelbild: Adobe Stock /  stnazkul

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