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Telematik ist der Digital-Booster fürs Gesundheitswesen

Entgegen heftiger Widerstände sind seit 2018 sehr viele Arztpraxen, Apotheken und Krankenhäuser schon an eine neue Telematikinfrastruktur (TI) angebunden. Diese gilt als Backbone des Gesundheitswesens. Warum und was es damit auf sich hat, erfahren Sie hier.

Telematikinfrastruktur (TI) mit dem vorangestellten Kofferwort aus Telekommunikation und Informatik will erstmal so gar nicht nach Backbone oder Autobahn für das Gesundheitswesen klingen, wie IT-Business (ITB) es beschreibt. Es klingt eher wie eine nolens volens zum PC gekommene alte Arztpraxis. Aber Namen sind wie Schall und Rauch und der ITB-Artikel stützt sich als Hauptquelle auf Avarto Systems und somit ein Unternehmen, das von der gematik GmbH (Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte) als Subauftragnehmer seit 2013 mit dem Aufbau und Betrieb der zentralen IT betraut ist.

Trotz Kritik viele Praxen und Kliniken schon angeschlossen

Tatsächlich beginnt der ITB-Artikel aber damit, welche Kritik und Widerstände sich dagegen regten, als das „Gesetz für sichere digitale Kommunikation und Anwendungen im Gesundheitswesen sowie zur Änderung weiterer Gesetze“ von 2015 zur Anwendung kommen sollte. Von der Gefahr für die Schweigepflicht, für die Behandlungsqualität und die Patientendaten ist da die Rede. Nachdem es 2019 Klagen und Petitionen hagelte, reagierte die Bundesregierung mit Androhung von Sanktionen.

Zunächst sollten sich bis Mitte 2018 für das Versichertenstammdatenmanagement (VSDM) vor allem Kassen- oder Vertragsärzte, Vertragspsychotherapeuten und Krankenkassen verpflichten, die notwendige Infrastruktur für Telematik einzurichten. Apotheken sollten bis September 2020 folgen, Krankenhäuser bis Januar 2020. Die Umsetzung hat sich wegen der Widerstände zum Teil noch verzögert. Immerhin sind dem ITB-Beitrag von September 2021 zufolge mittlerweile schon rund 72.000 Arztpraxen, 19.000 Apotheken und 2.000 Krankenhäuser per Telematikinfrastruktur angeschlossen und miteinander vernetzt.

Konnektor und Kartenterminal bilden die Infrastruktur

Die Telematikinfrastruktur besteht aus einem Konnektor und einem E-Health-Kartenterminal mit Zulassung der gematik und Zertifizierung vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). Der Konnektor stellt jeweils den Zugang über ein Virtual Private Network (VPN) und die Schnittstellen zu verschiedenen Applikationen zur Verfügung. Beispiele für solche Anwendungen oder Dienste sind besagtes VSDM, die Qualifizierte elektronische Signatur (QES), die Kommunikation im Medizinwesen (KIM), eRezept, die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) und die elektronische Patientenakte (ePA).

Thorsten Wenzel, Key Account Manager bei Avarto, ist in dem ITB-Artikel trotz der lautstarken Proteste überzeugt, dass mit den neuen Diensten „der Vorteil der Digitalisierung bei den meisten am Gesundheitswesen Beteiligten erst richtig ankommt“ und die „Zettelwirtschaft endlich ein Ende hat“.

Offen für verschiedene Applikationen oder Dienste

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Eine sichere digitale Infrastruktur ist die Grundlage für die Digitalisierung im Gesundheitswesen. Quelle: gematik

Einen Ausschnitt aus den Anwendungen und einen Ausblick zeigt die Grafik. Auf der Gesundheitskarte gespeicherten Notfalldaten über Vorerkrankungen können im Fall von Diabetes, einer Latexallergie oder eines Herzschrittmachers lebensrettend sein. Die elektronische Patientenakte würde mit Befunden, bisherigen Therapiemaßnahmen und Einblick in die Krankenvorgeschichte viele Doppelt- und Dreifachuntersuchungen erübrigen. Das Gesundheitswesen könnte somit nicht nur effizienter, sondern auch deutlich günstiger werden. Ob es sich durchsetzt, steht auf einem anderen Blatt Papier. Denn erstens sind solche redundant erscheinenden Untersuchungen aus medizinischer Sicht oft nötig. Zweitens können viele Krankenhäuser und Arztpraxen gar nicht darauf verzichten, weil eigene Röntgenbilder etwa mehr bringen als die zum Teil stark zusammengestrichenen Abrechnungssätze für andere Behandlungen.

TI 2.0 ebnet Weg für Versicherte, Hebammen & Co.

Kein Wunder, dass sich dagegen von der Ärzteschaft Widerstand regt. E-Rezept und E-Medikationsplan mit Berücksichtigung von möglichen Wechselwirkungen dürften dagegen auf eine breitere Zustimmung stoßen. Der Ausblick auf eine europaweite Telematikinfrastruktur, wie vom deutschen Bundesgesundheitsministerium (BGM) unter Jens Spahn als Eckpunktepapier vorgelegt, stößt im Vorfeld auf gemischte Gefühle.

In einem Blog der ÄrzteZeitung von Oktober 2020 hieß es, die elektronische Gesundheitskarte (eGK) würde so zum Auslaufmodell werden, und das Gesetz könnte auch einige frustrierte Gesichter hinterlassen, bei den deutschen Apothekern zum Beispiel, die so Konkurrenz aus dem Ausland befürchten müssten. Ein anderer strittiger Punkt des Eckpunktepapiers sind die darin angedachten Video-Ferndiagnosen für die AU beziehungsweise Krankschreibung.

Wie dem auch sei, über die Telematikinfrastruktur als Basis-Autobahn können laut ITB alle Akteure des Gesundheitswesens auf die betreffenden Dienste zugreifen. Arztpraxen und Krankenhäuser sind bereits seit Juli 2021 zur elektronischen Patientenakte (ePA) verpflichtet, die eAU soll bis Oktober folgen, das eRezept bis Januar 2022. Während KIM für die Kommunikation zwischen Arztpraxen und Kliniken eine Art E-Mail-Dienst ist, ist mit kurz TIM auch schon ein Messenger-Dienst à la WhatsApp in Vorbereitung.

Um die Anbindung auch auf andere Leistungserbringer wie Hebammen und Heilerzieher sowie auf die Krankenversicherten auszuweiten und für sie zu erleichtern, arbeitet die gematik auch schon an einem neuen Smart Software Connector und spricht dabei von TI 2.0. Die größte Schwierigkeit bisher ist jedoch die große Zahl an unterschiedlichen Betriebssystemen und Endgeräten. Wie Arvato-Manager Wenzel sagt, ist die gematik diesbezüglich mit der Industrie und Ärztekammer in einen Dialog getreten und es hat sich bei allen Akteuren bereits ein großer Paradigmenwechsel vollzogen. Und der werde eine Beschleunigung und bessere Akzeptanz der Digitalisierung des Gesundheitswesens mit sich bringen.

Quelle Titelbild: Adobe Stock / Enrique Micaelo

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