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Mehr Transparenz, Umweltschutz und neue Märkte – Wie Unternehmen von Re-Commerce profitieren

So wie der Onlinehandel insgesamt hat auch der Handel mit Secondhand- oder Refurbished-Ware in der Coronakrise stark zugenommen. Dieses Re-Commerce ist nicht nur nachhaltig und imageträchtig, Stichpunkt CSR, sondern kann Unternehmen auch helfen, neue Märkte zu erschließen.

Wie Ende Juni 2022 die Debatte um E-Fuels versus E-Autos zeigte, wollen Unternehmen möglichst autark entscheiden, brauchen und fordern aber auch klare Vorgaben von der Politik. Was das Refurbishing oder Wiederaufarbeiten von Produkten angeht, sind manche schon weiter. Aber Druck kommt auch von der EU, die das Ziel, bis 2050 klimaneutral zu sein, auch mit dem einer Kreislaufwirtschaft (Circular Economy) verbindet. Re-Commerce kann dabei ein ganz wichtiger Baustein sein.

Eines der ersten Produkte, das eBay 1995 unter den Hammer brachte, war ein kaputter Laserpointer. Pierre Omidyar, der Gründer des damals noch reinen Online-Auktionshauses, hatte den Käufer noch persönlich angerufen, um ihn zu warnen, nur um zu erfahren, dass dieser defekte Laserpointer sammele. Von Re-Commerce oder dem verwandten Re-Marketing war seinerzeit noch keine Rede, aber wie lässt Goethe seinen Faust so schön sagen: „Name ist Schall und Rauch.“ Tatsächlich ist Re-Commerce ganz gut gewählt, weil es Secondhand beziehungsweise Refurbishing mit E-Commerce verbindet.

Raus aus der verstaubten Secondhand-Ecke

Dem Statista Research Department zufolge haben 2020 rund 44 Prozent der Deutschen mindestens ein Secondhandprodukt gekauft. Klassenprimus im gar nicht mehr so verstaubten Re-Commerce-Onlinehandel war damals noch eBay Kleinanzeigen, 2006 gegründet und an den norwegischen Internetkonzern Adevinta verkauft. Zu den ganz Großen im deutschen Re-Commerce gehören

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Rund 44 Prozent der Deutschen haben im Jahr 2020 mindestens ein Secondhandprodukt gekauft (Quelle: Adobe stock / svitlini).

laut Statista auch Momox, Vinted (Kleidung) und ReBuy (Elektronik).

Oliver Lauterbach, Chief Commercial Officer bei dem Retourenmanagement-Spezialisten BuyBay, rechnet mit rund 40 Re-Commerce-Anbietern im deutschsprachigen Raum, wie er IT-Daily erklärte, und ist sehr gespannt darauf, welche Neuerungen sich 2022 noch in dem Markt ergeben. Sein Unternehmen arbeite schon an der Vision von Zero-Waste im E-Commerce.

Allein Momox hat 2020 rund 312 Millionen Euro umgesetzt. Und selbst Anbieter des „gegenläufigen Fast-Fashion-Marktes“ wie H&M sind mittlerweile auf den Zug aufgesprungen. Der schwedische Moderiese hat sich in Deutschland dafür mit Sellpy zusammengetan. Nachhaltigkeit schmeichelt wie gesagt dem Image und ist auch ein klares Statement in Richtung Corporate Social Responsibility (CSR) beziehungsweise ESG (Environmental Social Guidance). Und wie oben schon angeklungen, kann es auch helfen, neue Kanäle, Märkte und Zielgruppen zu erschließen. Wer H&M, Esprit und Co. bisher eher den Rücken kehrte, könnte dadurch zum Fan und bekehrt werden.

Auch Handel mit gebrauchter IT blüht und gedeiht

Notebooksbilliger.de, einer der ganz Großen im stationären wie im Onlinehandel mit IT-Produkten, hat das neben den zusätzlichen Einnahmequellen offenbar auch früh erkannt und bietet eine Reihe von gebrauchten Laptops und Tablets aus zweiter Hand an. GreenPanda sowie Refurbed.de haben sich überwiegend darauf spezialisiert, wieder flottgemachte (refurbished) PC-Produkte, Mobiltelefone und Zubehör an den Mann oder die Frau zu bringen. Einige Distributoren, sprich Großhandels- und Logistikunternehmen für ITK-Produkte, haben auch schon die Chance gewittert und spielen unter anderem auf Drängen des Handels mit in dem Markt. Ingram Micro übernimmt zum Beispiel unter anderem für das grenzüberschreitende Retourenmanagement und Re-Marketing die Commerce und Lifecycle Services. Und dafür gab es im Frühjahr 2021 vom britischen Global Brands Magazine den Award als bester Logistikdienstleister von Drittanbietern.

Gerade im Bereich CE- und ITK- oder ICT-Hardware kann Re-Commerce oder Re-Marketing einen wichtigen Beitrag leisten, Ressourcen und die Umwelt zu schonen. Elektroschrott lässt sich zwar recyclen, aber wie von Greenpeace angeprangert, landet der oft auf riesigen, stinkenden Halden in Drittweltländern, wo teilweise noch Kinder eingesetzt werden, diesen in ihre mitunter toxischen Einzelteile zu zerlegen. Die Halbleiterindustrie ist wegen immer knapper und teurer werdender Rohstoffe wie Gold, Platin und seltener Erden zwar auf Recycling angewiesen, aber die Ausbeute ist unter den hier beschriebenen menschenunwürdigen Umständen meist sehr bescheiden. Und sie wiegt für die Chiphersteller wohl kaum den Imageverlust auf, den sie durch Aufdeckungen der Umweltschützer und Presse erleidet, gleiches gilt für die Inverkehrbringer der Elektronikprodukte. Und die machen nach Drängen der Umwelt- und Menschenrechtsschützer mehr und mehr Druck auf ihre Lieferanten.

3 gute Argumente für Re-Marketing im Onlinehandel

Unlängst haben sich die Hersteller mit der EU auf einheitliche Kabelstecker für Mobiltelefone und ähnliche Produkte geeinigt. Das ist ein wichtiger Schritt, um den besagten Elektronikschrott zu reduzieren, der in Deutschland allein laut Bundesumweltministerium bei 20 Kilogramm pro Kopf oder 1,5 Millionen Tonnen liegt – pro Jahr wohlgemerkt.

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Laut Bundesumweltministerium liegt der produzierte Elektronikschrott in Deutschland im Jahr bei 20 Kilogramm pro Kopf (Quelle: Adobe stock / stokkete).

Die Bundesrepublik verfehle zudem das EU-Ziel einer Elektronik-Rücklaufquote von 65 Prozent um sage und schreibe 20 Prozentpunkte. Das novellierte Elektro- und Elektronikgerätegesetz (ElektroG) sieht daher ab 2022 neue Regeln für die Rücknahme von Elektro- und Altgeräten sowie eine bessere Verbraucheraufklärung vor.

Es soll Hersteller und Handel sowie die Verbraucherinnen und Verbraucher mehr in die Pflicht nehmen. Hinzu kommt, dass nach dem Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG) Handelshäuser in die „Obhutspflicht“ genommen werden sollen, retournierte Geräte nicht mehr zu entsorgen und dem Markt somit zu entziehen, sondern nach Instandsetzung und Aufbereitung möglichst wieder in den Handel zu bringen.

Unternehmen sind daher als eines von drei Argumenten mehr in der Verantwortung. Das zweite Argument ist, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher sich der globalen Umweltprobleme immer bewusst werden und mittlerweile auf Umweltfreundlichkeit achten. Einer Capgemini-Studie in neun verschiedenen Ländern zufolge, sind es mittlerweile 66 Prozent der Konsument:innen, die so denken. Re-Commerce ist dabei mit 78 Prozent der gebrauchten Waren ganz klar auf dem Vormarsch, wie IT-Daily aktuelle Statistiken zitiert.

Hinzu kommt das vorher schon genannte Argument, dass Industrie und Handel sich mit Re-Commerce auch neue Käufergruppen und Geschäftspotenziale durch Markenpositionierung erschließen können. Dabei spielt natürlich auch der oft attraktivere Preis eine Rolle. Denn 56 Prozent der Konsument:innen möchten beim Kauf sparen, und 36 Prozent kaufen sich gebrauchte oder retournierte Produkte, die sie sich sonst nicht leisten könnten.

Fazit: Es gibt gute Gründe, das Recycling und Refurbishing von Waren im Onlinehandel zu etablieren und auf den Re-Commerce-Zug aufzuspringen. Unternehmen sollten das auch als Chance sehen, neue Zielgruppen und Märkte zu erschließen. Abgesehen davon machen auch die EU und die Behörden in den Mitgliedsländern mehr und mehr Druck in Richtung einer besseren Kreislaufwirtschaft. Für manche Unternehmen mag das noch unbequem oder lästige Gängelei sein. Aber immer mehr brauchen und fordern neue Regeln für CSR und ESG, parallel zu den Forderungen der Konsument:innen nach mehr Transparenz.

Quelle Titelbild: Adobe Stock / lumerb

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