29.09.2020

Neue disruptive Technologien haben schon immer Angst vor Arbeitsplatzverlust mit sich gebracht. Die Geschichte lehrt aber, dass diese vielfach unbegründet ist. Wo hier Jobs wegfallen, entstehen anderswo neue. Das möchte ich Ihnen an verschiedenen Beispielen zeigen.

Als 1844 in Schlesien mechanische Webstühle die Handarbeit verdrängten, kam es zum Weberaufstand, der den Literaturnobelpreisträger Gerhart Hauptmann unsterblich machte. Das Elend der arbeitslosen Weber und die grausame Unterdrückung des Aufstands bewegten die Welt.

Die Situation heute ist nicht ganz so dramatisch, aber die Angst vor Arbeitsplatzverlust ist durchaus real und nicht ganz unberechtigt. Mit Microsoft-Gründer Bill Gates und Tesla-Chef Elon Musk sind laut t3n immerhin zwei Technologie-Schwergewichte dafür, den zu erwartenden Wegfall von Millionen von Jobs weltweit durch einer Robotersteuer oder langfristig durch das bedingungslose Grundeinkommen auszugleichen.

Auch der Siemens-Vorstandsvorsitzende Joe Kaeser sprach sich so wie der DM-Gründer Götz Werner mehrfach für das bedingungslose Grundeinkommen aus und warnt laut Süddeutscher Zeitung vor sozialen Spannungen durch Digitalisierung. Die SZ zitierte Richard David Precht, den wohl bekanntesten modernen deutschen Philosophen, am Rande der Hannover Messe 2019 damit, dass er vor millionenfachen Arbeitsplatzverlust in der Bundesrepublik warnt und selbst IT-Jobs bedroht sieht, vom Bürokaufmann ganz abgesehen.

Wie groß die Angst unter den Arbeitnehmern ist, verdeutlicht für mich die im März 2020 veröffentlichte aktuelle Studie „Digitalisierung und Arbeitswelt – aus der Sicht von Fachkräften mit Berufsausbildung“ von Meinestadt.de, wonach sich vor allem Facharbeiter ohne Abitur bedroht sehen. Ich finde die Sorge verständlich, denn obwohl vier von fünf Erwerbstätigen in Deutschland keinen Hochschulabschluss besitzen, wird das Thema Digitalisierung und die damit verbundenen Ansätze zu „New Work“ bisher fast ausschließlich aus Sicht der akademischen Minderheit betrachtet.

Fachkräfte sind wichtig

Aber gerade die aktuelle Krise zeigt, dass diese Darstellung nicht korrekt ist und wie wichtig nichtakademische Arbeit immer noch ist. Ohne das Engagement und den Mut der „Corona-Helden“ von Pflegekräften, Supermarktangestellten und Bus- oder Lkw-Lenkern wäre innerhalb von Stunden das Chaos ausgebrochen. Besonders viele Krisenhelfer sind Frauen.

Aber gerade diese Zielgruppe hat Angst um ihre Jobs, zeigt die Studie:  Grundsätzlich sehen 72,9 Prozent der befragten Fachkräfte Arbeitsplätze durch die Digitalisierung bedroht, wobei aus der Sicht von 40,7 Prozent die Digitalisierung sowohl Arbeitsplätze vernichtet als auch Neue schafft. Weit verbreitet ist die Befürchtung, dass die durch die Digitalisierung verursachte Arbeitslosigkeit vor allem die Unqualifizierten trifft, die über keine Berufsausbildung verfügen. Das war aber schon immer so. Am meisten haben die Auswirkungen der Industrialisierung und der späteren Automatisierung die ungelernten oder minderqualifizierten Arbeiter getroffen.

Eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln e.V. (kurz IW) sieht laut Forschung und Wissen unterm Strich zwar mehr Jobs durch Digitalisierung entstehen, warnt aber, dass An- und Ungelernte – so wie einst die sogenannten „Lohnsklaven“ der Industrialisierung – dabei auf der Strecke bleiben dürften.

Digitale Fähigkeiten
"Wie fit fühlen Sie sich im Hinblick auf folgende digitale Fähigkeiten?" Quelle: Studie Digitalisierung & Arbeitswelt von meinestadt.de.

Umso bedenklicher stimmt, dass Fachkräfte ihre persönlichen Kompetenzen im Hinblick auf die Digitalisierung in der Meinestadt.de-Umfrage überwiegend als eher gering einschätzen: 56,5 Prozent der Befragten ordnen sich auf einer Skala von 1 bis 5 (niedrig bis sehr hoch) nur bei den Werten von 1 bis 3 ein. Im Hinblick auf konkrete digitale Fähigkeiten fühlen sich Fachkräfte bei alltäglichen Tätigkeiten wie dem Umgang mit dem Smartphone oder den sozialen Medien noch fit oder sehr fit. Bei jobnahen Fähigkeiten wie virtueller Kommunikation oder dem Umgang mit großen Datenmengen fühlt sich die Mehrheit der Fachkräfte schon deutlich unsicherer.

Unternehmen sollten mehr investieren

Meine Meinung dazu: Um mit diesen Ängsten umzugehen und sie abzubauen, ist Führungsfähigkeit gefragt. Ein erster Schritt ist es, auf die Beschäftigten zuzugehen und ihre Bedenken ernst zu nehmen. Besonders groß ist der Wunsch nach Weiterbildung.

Nur jede fünfte Fachkraft hat schon einmal an einer Weiterbildungsmaßnahme zur Digitalisierung teilgenommen. Besonders niedrig ist der Anteil im Handel und im Handwerk, vergleichsweise hoch dagegen im öffentlichen Sektor und in der Pflege.

Ganz oben auf der Wunschliste stehen moderne Hardware wie Handy oder Smartphone, Tablet oder Laptop und Software sowie mehr Schulungen und Fortbildungen. Arbeitgeber sollten die Wünsche aufnehmen und nicht knausern, auch wenn es in der aktuellen Situation schwerfällt.

Unternehmen sollten mehr investieren
Moderne Hardware steht bei Schulungen und Fortbildungen immer ganz oben. Quelle: Adobe Stock / NDABCREATIVITY.

Aktiv Chancen und Risiken der Digitalisierung vermitteln

Unternehmen können es sich nicht leisten, die Digitalisierung aufzuschieben, weil sie dadurch Gefahr laufen, von der agileren Konkurrenz überholt zu werden. Unternehmensleitungen müssen sich daher aktiv mit der Thematik beschäftigen und die Akzeptanz von Digitalisierung fördern.

Vor der Einführung neuer Technologien ist es wichtig, den Fachkräften den Handlungsbedarf und die Notwendigkeit der Digitalisierung schlüssig zu vermitteln. Allen Mitarbeitern sollte klar werden, was die Digitalisierung ihnen persönlich bringt.

Im besten Fall können Arbeitgeber ein digitales Leitbild definieren, eine Art Fahrplan, auf welchem Digitalisierungsstand sie in fünf Jahren mit ihrem Unternehmen sein möchten. Dann stehen die Chancen gut, dass die Beschäftigten einen ersten Schritt aus der Komfortzone machen und langfristig mitziehen.

Nehmen Sie Ihren Mitarbeiter die Angst vor der Digitalisierung
Nehmen Sie Ihren Mitarbeiter die Angst vor der Digitalisierung. Quelle: Adobe Stock / cacaroot.

Unterstützen Sie Ihre Beschäftigten

Nicht alle Beschäftigten sind in Sachen Digitalisierung auf dem gleichen Stand. Wie dieser bei jedem individuell ist, können Sie mit einem kurzen „Fitnesstest“ oder der Bitte um Selbsteinschätzung anhand weniger Fragen herausfinden. Dabei geht es konkret um die Kompetenz der Angestellten im Hinblick auf die aktuell verwendeten Tools, Programme und Technologien einschätzen.

Eine Umfrage könnte ebenfalls Aufschluss darüber geben, wie offen die Belegschaft Neuerungen gegenübersteht und was das für Arbeitgeber bei der Umsetzung neuer Maßnahmen bedeutet. Es ist sinnvoll, Weiterbildungen anzubieten, wenn sich Defizite zeigen.

Arbeitgeber sollten Strukturen oder Formate schaffen, wie Wissen und Erfahrungswerte intern weitergegeben werden können. Das erhöht die Wertschätzung und den Teamzusammenhalt und spart außerdem Schulungskosten.

Veraltete Maschinen, Prozesse oder unnötige Papierwüsten sind kein Qualitätssiegel für einen modernen und zukunftsorientierten Arbeitgeber. Zeigen Sie eine klare Vision auf, wie Sie sich die Vorteile der Digitalisierung vorstellen.

Keine Angst vor der Moderne

Maschinenstürmer waren noch nie erfolgreich. Schlesien entwickelte sich nach dem Weberaufstand binnen weniger Jahre zu einem industriellen Herzland Deutschlands, dem zweitwichtigsten neben dem Ruhrgebiet, und die arbeitslosen Weber wurden zu Industriearbeitern.

Es wird immer wieder Arbeitsplatzverluste durch moderne Technologien geben, aber es bilden sich dann stets neue Beschäftigungsfelder heraus. Wichtig ist, dass Unternehmen den digitalen Wandel gestalten und ihre Angestellten auf diesem Weg mitnehmen.

 

Quelle Titelbild: Adobe Stock / pathdoc

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