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Wie fit ist Deutschland bei Technologien wie KI und Quantencomputing eigentlich?

Auf der teils hochkarätig besetzten Rise of AI Conference in Berlin im Mai 2023 ging es unter anderem um Nachhaltigkeit, Quantencomputing und den AI Act sowie um eben die Frage, wie fit Deutschland bei den neuen Technologien bereits ist und ob es international mithalten kann.

Bei der Rise of AI Conference, die am 10. Mai 2023 zum achten Mal und als Hybrid-Show stattfand, waren 230 Gäste vor Ort, hinzu kamen 1.300 remote zugeschaltete Teilnehmer:innen.

Top Keynotes hochkarätiger Gäste

Unter den Top Keynote Speakers waren Prof. Dr. Jürgen Schmidhuber, einer der führenden KI-Forscher; Dr. Feiyu Xu (Xu Yufei), Head of AI bei SAP; ihr Mann Prof. Dr. Hans Uszkoreit vom Deutschen Forschungszentrum für künstliche Intelligenz (DFKI) und einer der führenden Köpfe auf dem Gebiet der Computerlinguistik; Prof. Dr. Sabina Jeschke, Quantencomputing-Expertin und ehemals Technik-Vorständin der Deutschen Bahn; die Computerlinguistin Tina Klüwer; der Digitalpolitiker Kai Zenner; Jörg Bienert, Präsident des KI-Bundesverbandes; Jonas Andrulis, Mitgründer und Geschäftsführer des deutschen KI-Forschungsunternehmens Aleph Alpha; der Cycersecurity-Experte Mirko Ross mit dem Thema Hacking AI; und erstmals dabei der promovierte Informatiker und Mathematiker Dr. Leif-Nisse Lundbæk, Mitgründer und CEO des Berliner Startup-Unternehmens Xayn, laut Forbes einer der Top 30u30.

Der AI Act der EU eckt viel an

Ein Thema, das viele der Teilnehmer:innen beschäftigte, war der damals kurz vor der Abstimmung stehende AI Act der Europäischen Union. Kai Zenner, der das Büro des EU-Parlamentariers Axel Voss von der EVP-Fraktion leitet, sieht bei dem Gesetz Startups nicht ausreichend berücksichtigt. Ihm zufolge ist der Ausgangspunkt der EU-Kommission falsch, „horizontale Rahmenbedingungen zu erstellen und auf sämtliche Bereiche und Fälle anzuwenden“.

KI sei mittlerweile zu einem Schlagwort geworden, das undifferenziert alle Expertensysteme umfasse, die es schon seit 70 Jahren gebe. Startups würde man mit der Umsetzungslast allein lassen und überfordern. Kritik übt Zenner auch daran, generative KI pauschal in die höchste Risikoklasse einzustufen.

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KI ist zu einem Schlagwort geworden, das undifferenziert alle Expertensysteme umfasst, die es schon seit 70 Jahren gibt (Quelle: Adobe stock / sabida).

Da fehlt für ihn und seinen Chef Voss das Gleichgewicht zwischen Risikofokus und Technologieoffenheit und im eher angstbesetzten EU-Parlament auch der Blick dafür, wie KI unser Leben verbessern kann.

Schrauben für IKEA-Regale und Flugzeugträger sind auch zweierlei

Der KI-Bundesverbandsvorsitzende Jörg Bienert schlägt in eine ähnliche Kerbe. Man müsse die Chancen für Bereiche wie Klimaschutz, Fachkräftemangel und Gesundheitswesen mehr in den Blick nehmen. Der pauschale Begriff General Purpose AI (GPAI), der im Gegensatz zum ursprünglichen Ansatz Einsatzbereiche und spezifische Risikoklassen gar nicht mehr richtig trennt, ist für ihn vergleichbar mit einem Schraubenlager für alle Fälle: hier die Schrauben für IKEA-Regale, dort für Flugzeugträgerflächen. Startups und Open-Source-Initiativen würden durch diesen Ansatz in der geplanten Form massiv benachteiligt. „Dies wäre das Ende des KI-Ökosystems in Europa, wie wir es kennen“, zitiert Heise den Verbandschef.

Um international mitzuhalten, braucht es starke Allianzen

Um international mithalten zu können, brauche es aber auch Investitionen in Hardware und Infrastruktur zum Trainieren großer Modelle sowie ein kooperatives Netz, in dem alle Beteiligten zusammenarbeiten.

Andrulis von Aleph Alpha findet, dass der Compliance-Fokus im EU-Gesetz hinderlich für neue Ideen ist und kleinere Unternehmen sich gegen Riesen wie Microsoft mit ihren Monopolisierungsbestrebungen nur behaupten können, wenn sie auf Partnerschaften und ein starkes Ökosystem für die strategische Zusammenarbeit bauen. Andrulis zufolge ist Europa nicht gerade „in der Pole Position bei KI“, zusätzliche Hindernisse könnten daher langfristig zu wirtschaftlichen Abhängigkeiten führen. Was große Sprachmodelle angeht, habe Deutschland allerdings „die Nase vorn“ in Europa, diese Position erfordere aber auch ein tragfähiges Ökosystem. Dadurch, dass viele KI-Expert:innen und Führungskräfte zu sehr in regulatorische Fragen eingebunden sind, bleibe weniger Zeit für kreative Arbeit und das Aufstellen eigener Unternehmen und Teams für die neue Ära.

Nachhaltigkeit: Energiesparende kleine, statt nur große Modelle

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Energiesparende, nachhaltige Small Language Models gewinnen immer mehr Aufmerksamkeit (Quelle: Adobe stock / Alexander Limbach).

Als Alternative zu großen KI-Sprachmodellen gewinnen energiesparende, nachhaltige Small Language Models immer mehr Aufmerksamkeit. Lundbæk und Andreas Grün, Leiter für Digitalmedien beim ZDF, haben im Rahmen eines Validierungsexperiments in der Mediathek des „Zweiten“ vorgeführt,

dass sich der Energieverbrauch mit dem Small Language Model Xaynia auf zwei Prozent der bisherigen Energiemenge reduzieren lässt.

Wie Lundbæk sagt, sollte Deutschland den Fokus auf die KI-Entwicklung setzen und aus den europäischen Notwendigkeiten oder Gegebenheiten wie strengere Vorschriften und weniger Zugang zu Big Data lasse sich durchaus auch eine Tugend machen.

Europäische Forschung kann sich immer noch sehen lassen

Uszkoreit hat auf der Konferenz zwar gezeigt, dass Europa und Deutschland bei Sprachmodellen wie ChatGPT noch kaum mitspielen können. Schaue man aber auf die Autor:innen relevanter wissenschaftlicher Veröffentlichungen, sei Europa stark vertreten. Wie er sagt, sei es noch nicht zu spät, aber die Industrie brauche mehr Unterstützung, da es auf dieser Seite des großen Teiches kein Äquivalent wie Google gebe.

Er unterstützt unter anderem die Initiative LEAM für große europäische KI-Modelle und öffentliche Finanzierung von Rechenzentren und endete seinen Vortrag an Deutschland und Europa gerichtet mit „Act now!“ – handeln Sie jetzt!

Quantencomputing weiter, als weithin gedacht

Die ehemalige DB-Technikchefin Jeschke hat in ihrem Vortrag über Quantencomputing mit einigen Mythen aufgeräumt. So erklärte sie einem erstaunten Publikum, dass Tieftemperatursysteme für industrielle Zwecke schon 2025 verfügbar sein werden und Raumtemperatursysteme ab 2028 technisch möglich sein dürften. Gekühlte Quantencomputing-Systeme sollen bald schon Echtzeitberechnungen für Bahnpläne der Deutschen Bahn mit einem Zehntel der heute benötigten Energiemengen ermöglichen, Systeme bei Raumtemperatur etwas später sogar nur noch ein Prozent.

Wie Jeschke meint, stehen Deutschland bei Quantencomputing noch alle Türen offen, was man in der KI-Entwicklung nicht uneingeschränkt sagen könne, denn: „Da sind uns die USA weit enteilt“, so die Expertin. ChatGPT und Co. stünden noch am Anfang, werden die Welt ihr zufolge radikal verändern, und das entgegen allen Unkenrufen auch zum Guten.

Der Cybersecurity-Experte Mirko Ross hat in seinem Vortrag Hacking AI darauf hingewiesen, dass die KI-Industrie sich derzeit in einem wahren Rausch befinde, mangelnde Sicherheit ihr früher oder später aber einen üblen Kater bescheren könnte. Daher begrüßt er, dass robuste und vertrauenswürdige KI bei allen Akteuren als Thema mittlerweile angekommen ist.

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Mangelnde Sicherheit könnte der KI-Industrie früher oder später einen üblen Kater bescheren (Quelle: Adobe stock / Emanuel Corso).

„Was wir in der KI-Branche brauchen, ist eine maßvolle Regulierung, die das zarte ökonomische Pflänzchen der europäischen KI-Industrie gut gedeihen lässt und pflegt“, so Ross. Was kleine gegen große Modelle und das Thema Nachhaltigkeit betrifft, sagt er, dass der Energieverbrauch durch KI-Systeme gewaltig ist und noch gewaltig steigen wird. Allerdings brauche es nicht immer nur die Rechen-Power großer Modelle.

Fazit und Ausblick: Soweit ein Ausschnitt der Vorträge von der Rise of AI Conference in Berlin, die sich in wenigen Jahren zu einer der wichtigsten internationalen Plattformen für KI, Quantencomputing und Co. entwickelt hat. Während manche den Zug für Europa und Deutschland schon abgefahren sehen, betonen andere, dass hier gerade im Bereich Forschung und Entwicklung immer noch viel Potenzial vorhanden ist. Um dieses voll zu entfalten, müssen aber mehr finanzielle Unterstützung und Rahmenbedingungen her, welche die neuen Technologien nicht behindern. Zudem braucht es mehr Best Practices von Herstellern, Dienstleistern wie Axians und anderen Marktteilnehmern.

Quelle Titelbild: Adobe Stock / Patrick P. Palej

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