Smart City als Lösung gegen den urbanen Kollabs

Smart Cities als Lösung gegen den urbanen Kollaps?

Volle Straßen und Züge, schlechte Luft, enger Wohnraum und steigende Energiepreise machen das Leben in den Städten immer weniger lebenswert. Smart Cities können die Antwort sein. Aber sind sie das wirklich und wie greifen solche Konzepte?

Es gibt Dörfer und Kleinstädte, die heute schon um jeden Bürger ringen müssen, so groß ist der Drang nach den großen Städten und Metropolregionen. Doch dort geht den Bewohnern oft immer mehr die Luft aus, im wahrsten und im übertragenen Sinne des Wortes. Denn auch wenn durch Corona und Lockdown etwas gelindert, leiden die Städter nicht nur unter immer größerer Luftverschmutzung, sondern auch unter den Verkehrsbedingungen, immer knapperem und teurerem Wohnraum, steigenden Energiekosten und zunehmender Parkplatznot. Dieser Beitrag geht auf einige der größten gesellschaftlichen und infrastrukturellen Herausforderungen im urbanen Bereich ein und beleuchtet, ob und wie Smart-City-Konzepte dagegenhalten können. Den Anfang soll hier der Verkehr machen.

Verkehr und urbane Mobilität

Um den Individualverkehr einzudämmen, hat London nach dem Vorbild Singapurs 2003 eine nach Zonen gestaffelte City-Maut eingeführt. Und dennoch kommt man in der Innenstadt der Themsestadt zu Fuß mitunter schneller voran als mit dem Auto oder Bus, was möglicherweise daran liegt, dass viele der Städter sich die teure Toll einfach leisten können.

Mega-Autobahnen wie die berühmte Interstate 405 in und bei Los Angelos scheinen zu bestätigen, was Stadt- und Verkehrsplaner derzeit viel diskutieren: Je breiter die Straßen, desto mehr Verkehr ziehen sie an, desto größer ist das Verkehrschaos, desto weniger ist ein Vorankommen möglich. Pop-up-Fahrradwege sind für manchen Autofahrer ein Graus, haben aber mitunter auch den Effekt, dass der Verkehr flüssiger wird. Das mag auch daran liegen, dass die so verdichteten Straßen Parken in zweiter Reihe gar nicht mehr möglich machen.

Pop-Up Fahrradwege
Pop-up-Fahrradwege sind für manchen Autofahrer ein Graus, dienen jedoch dazu, dass der Verkehr flüssiger wird. Quelle: Adobe Stock / David.Sch

Apropos Parken und Pop-up-Wege: Intelligente Assistenzsysteme können laut Industry of Things im Vorbeifahren freie Parkflächen erkennen und die Daten über die Cloud dem Fahrer mitteilen. Man denke nur, wie viele Stausituationen und Abgase sich dadurch vermeiden ließen. Stundenweise freigegebene Pop-up-Spuren nach dem Vorbild des Elbtunnels in Hamburg könnten den Verkehr hier und da deutlich entspannen.

Autonomes Fahren, womit Deutschland international zum Vorreiter werden will, bietet vielfältige Möglichkeiten. Die Automobilindustrie und Beratungs-
unternehmen wie VINCI Energies arbeiten schon an Konzepten der Vehicle-to-Vehicle- und der Vehicle-to-Infrastructure-Kommunikation (V2V und V2I). Man müsste sich so nicht mehr ärgern, dass jemand vorne „pennt“, weil alle in Kolonne anfahren. Und man hätte viel öfter oder immer die „grüne Welle“, weil die Ampel Kilometer vorher schon signalisiert, wann bei welchem Tempo freie Fahrt ist.

Verbesserung der Luftqualität

Häufiger Stop-and-go-Verkehr hat natürlich einen großen Anteil an Feinstaub- und Stickoxid-Belastung in den Städten und kann somit auch ernste gesundheitliche Folgen für die Bewohner haben. Hinzu kommt, dass sich die Ballungszentren nicht nur durch die Abgase, sondern auch durch die Klimaanlagen der Autos immer mehr aufheizen, was besonders in südlichen Ländern ein zunehmendes Problem ist. Singapur hat daher als eine der ersten Großstädte begonnen, die Hochhäuser in der Vertikale als hängende Gärten zu begrünen. In Wien und Barcelona ist man dem Beispiel gefolgt. Wien hat laut Industry of Things auch eine „Kühle Meile“ mit Bäumen, Kühlelementen und Wasserentnahmestellen errichtet. Paris’ Bürgermeisterin Anne Hidalgo gibt sich so grün, dass sie große Verkehrsadern autofrei halten und Betonflächen in grüne Bezirke umgestalten will.

Ein Dresdner Startup namens Green City Solutions hat mit seiner Idee vom „City Tree“ weltweit für Aufmerksamkeit gesorgt.
Die „Stadtbäume“ sind aufrecht-
stehende Wände, in denen Moose und Deckpflanzen als eine Art grüne Lunge wachsen. Denn sie filtern die Luft und produzieren gleichzeitig Sauerstoff. Für die Bewässerung kommen wie bei den hängenden Gärten von Singapur und Barcelona intelligente IoT-Systeme zum Einsatz.

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Das Start-up Green City Solutions hat mit seiner Idee von „City Trees“ aufrechtstehende Wände, in denen Moose und Deckpflanzen als eine Art grüne Lunge wachsen, entwicklet. Quelle: Green City Solution

Energieeffizienz ist ganz entscheidend

Was die Nutzung regenerativer Energien, etwa Solarzellen und Solarkollektoren für die Strom- und Heißwasserversorgung auf den Dächern von Bürogebäuden und Mietshäusern, angeht, stehen viele Städte und Kommunen noch am Anfang. Die Potenziale sind enorm, es stellt sich nur die Frage der Finanzierung und die, wie sauber diese alternativen Energien in der Produktion sind. Neue Studien zeigen freilich auch, dass der Bau- und Immobiliensektor in Sachen Wärmedämmung und Feinstaubbelastung durch Nutzung fossiler Energien maßgeblich daran schuld ist, die Klimaziele nicht zu erreichen. Es kommt dabei aber auch darauf an, Energie effizienter zu nutzen. Das fängt schon bei der Straßenbeleuchtung an, denn LED-Lampen verbrauchen weniger Strom.

In puncto mehr Energieeffizienz ruhen viele Hoffnungen auf intelligenten Zählern, so genannten Smart Meters.

Die EU hat zwar schon 2006 beschlossen, dass alle Endkunden, sofern technisch machbar und bezahlbar, über Smart Metering die Möglichkeiten haben sollen, ihren Energieverbrauch zu steuern, in Deutschland sind solche Stromzähler wegen großer bürokratischer und finanzieller Hürden aber nur für Haushalte mit einem Jahresverbrauch von mehr als 6.000 kWh sowie für Häuser mit Solaranlage und E-Autoladestation vorgeschrieben.

Über Smart Meters und Smart Grids (intelligente Netze) könnten Elektroautos am Tag nicht verbrauchten Strom zu Spitzenzeiten ins Netz einspeisen, um sie über günstigen Nachstrom wieder aufzuladen.

Bessere Bürgerservices

Früher musste man teilweise früher von der Arbeit aufbrechen, nur um eine neue Monatskarte für die „Öffis“ zu bekommen. Vor den Amtsstuben bildeten sich oft lange Schlangen, um dann beschieden zu bekommen, dass man es am nächsten Tag nochmal versuchen möge. Das hat sich mittlerweile glücklicherweise deutlich geändert. E-Government oder Smart Government, wie VINCI Energies es nennt, hat Vieles erleichtert. So kann man heute zum Beispiel viele Anträge und Formulare über interoperable Plattformen auch ganz bequem von zu Hause aus online erstellen. Viele zum Teil redundante Behördengänge sind weggefallen. Über die Seite Online-Services der Stadtverwaltung von München kann man nun zum Beispiel Meldebescheinigungen und ein Wunsch-Autokennzeichen online beantragen sowie sogar Führungszeugnisse und Geburtsurkunden. Die Digitalisierung macht es möglich.

Das Onlinezugangsgesetz (OZG) verpflichtet Bund, Länder und Kommunen in Deutschland sogar dazu, bis 2022 Verwaltungsleistungen über entsprechende Portale weitgehend digital anzubieten, wie Digital Chiefs berichtete. Da heißt es aber auch, dass Corona zwar zu mehr Akzeptanz der digitale Verwaltungsangebote beigetragen hat, nicht wesentlich aber zu einer höheren Nutzung. Die Ausgestaltung beziehungsweise der Ease of Use dieser digitalen Angebote wird daher ganz entscheidend sein, Akzeptanz und Nutzerverhalten zu erhöhen.

Thematisch passend dazu ist auch das Gesundheitswesen zu nennen. In strukturschwachen Gebieten mit wenig bis gar keinen Ärzten rollt auch die Telemedizin, sprich die medizinische Ferndiagnose und -betreuung, immer mehr an. Vieles, was technisch machbar und in der Pandemie wünschenswert wäre, eine Krankenkassenkarte, auf der alle Impfungen, Behandlungen und Vorerkrankungen vermerkt sind zum Beispiel, ist aus datenschutzrechtlichen Gründen eben doch nicht möglich.

Arztbesuche in Zukunft per digitaler Fernbetreuung
Die Telemedizin, sprich die medizinische Ferndiagnose und -betreuung, rollt in Gebieten mit wenig bis gar keinen Ärzten immer mehr an. Quelle: Adobe Stock / Rido

Wichtig ist aber zu betonen, dass die Digitalisierung auch viel für Bürokratieabbau gesorgt hat. Und das führt zur letzten Frage, eher einem Gedankenspiel:

Sind disruptive Services Teil der Lösung?

Disruptive Services wie Uber und AirBnB stehen viel in der Kritik, gewachsene Strukturen kaputtzumachen sowie sich und ihren „Schäfchen“ dem Fiskus zu entziehen. Richtig gesteuert und besteuert, können sie aber auch dazu beitragen, Probleme wie Wohnungsnot und die schlechte Anbindung der Landbevölkerung an die Städte zu lindern. Eventuell müssten sich die Städte und Gemeinden dann mit den Anbietern zusammentun, um das Ganze in sozial verträgliche Bahnen zu lenken oder – möglichst unbürokratisch – selbst solche Services aufziehen.

Uber als Alternative für teure Taxifahrten
Uber und Co. könnten unter anderem durch Sammelfahrten eine Lücke füllen, wenn die Preise unter denen der Taxifahrer bleiben. Quelle: Adobe Stock / agcreativelab

Die Beförderungspflicht, die Taxis in den Städten haben, gilt nicht unbedingt auf dem Land. Abgesehen davon sind sie den Menschen in abgelegeneren Regionen auch oft viel zu teuer. Uber und Co. könnten hier unter anderem durch Sammelfahrten eine Lücke füllen, wenn die Preise unter denen der Taxifahrer bleiben. Denkbar wäre auch nur eine Sammelfahrt zum nächstliegenden Bahnhof.

AirBnB macht Hotels immer mehr Konkurrenz und hat in vielen Städten auch schon die rote Karte gezeigt bekommen, weil die teuer vermieteten Bleiben vielfach bezahlbaren Wohnraum entziehen. Der Service hat so etwas Halbseidenes bekommen. Was er aber nicht müsste, wenn man ihn in eine Art Bürgerservice umwandeln würde, der auch Hotelzimmer in die Suchmöglichkeiten einbezieht und für Wohnungsbesitzer klare Regeln setzt, wie lange und in welcher Höhe sie Wohnraum für Kurzzeitmieter zur Verfügung stellen dürfen. Denn über touristische Zwecke hinaus gibt es durchaus Bedarf an vorübergehend vermieteten Wohnungen und Häusern. Die Möglichkeit, sich selbst bekochen zu können, wäre für manchen Neuankömmling, Werksarbeiter oder Berufseinsteiger gerade in Corona-Zeiten oft „unbezahlbar“. Denn Essen gehen geht ja nicht inmitten des Lockdowns.

Für Uber wie AirBnB und Co. gibt es Apps, in Smart Cities als bezahlbare Bürgerservices integriert, müssten sie genauso einfach zugänglich sein. Denn bei Allem geht es darum, den Bürgern eine intakte Infrastruktur zur Verfügung zu stellen. Und dazu gehören auch bezahlbarer Wohnraum und eine günstige Ökobilanz, angefangen von der Mobilität bis hin zur Energienutzung.

Quelle Titelbild: Adobe Stock / tampatra

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